Ein neues Leben beginnen

Wie viele andere, so ist auch Jean-Claude Girod nach der Pensionierung ausgewandert. Das Spezielle daran: eine voll geglückte Integration!

 

Welch ein Vertrauensbeweis! Sein Nachbar lässt den eingewanderten Schweizer seine hundertköpfige Schafherde während seiner Ferienabwesenheit hüten und versorgen. Dies, in der Republik Irland, in der Nähe von Ballyshannon, der ältesten irischen Stadt, 500 Meter von der Atlantikküste entfernt. Jean-Claude und Therese Girod, die zwei nichtkatholischen Fremden, wurden von den Einheimischen mit offenen Armen aufgenommen. Auf Anhieb verstanden sie sich sehr gut. Jean-Claudes Talent für Sprachen half ihm, auch Englisch mit starkem, irischen Akzent zu verstehen. Gälisch, die irische Landessprache mit keltischem Ursprung, zu sprechen, war unnötig. Seit 16 Jahren lebt das Ehepaar Girod nun dort und hat die irische Volksseele richtig kennen und schätzen gelernt. Die zwei werden immer wieder zu Hochzeiten eingeladen oder sogar zu Totenwachen gerufen, wenn in der Nachbarschaft jemand gestorben ist. Es gibt immer etwas zu tun, um ihr Haus und ihr Anwesen in Schuss zu halten. Therese hat sich mit ihrem grossen Blumen- und Gemüsegarten einen guten Namen verschafft. Jean-Claude ist ziemlich stolz auf seine Solarzellen auf dem Dach, denn das gibt es sonst in dieser Gegend kaum. Er betätigt sich zudem als erfolgreicher Fotograf bei Hochzeiten und stellt beliebte DVDs her, so wie damals als Video-Editor bei der Swissair. Die frühere Journalistin und der frühere Sprachinstruktor erledigen zudem Übersetzungen für ein Museum oder für Websites von Tourismus-Unternehmen. Bei einer Deutsch-Debatte zwischen zwei Schulklassen amteten sie als Jury-Mitglieder. Ja, sie wurden sogar angefragt, ob sie nicht als Geschworene am Gericht mitwirken möchten. Vor  bald sechs Jahren sind sie irische Staatsbürger geworden, konnten aber ihren Schweizerpass behalten. Sie sind in ihrer Stadt aktiv am sozialen Leben beteiligt und voll in der Gesellschaft integriert. Sie wollen dort auch bleiben und nie wieder in die Schweiz zurückkehren, Ferien und Verwandtenbesuche ausgenommen, denn ihre zwei Töchter sind in der alten Heimat zurückgeblieben.

 

Wie das Leben so spielt

 

Jean-Claude Girod ist in einer französisch sprechenden Familie in Zürich aufgewachsen, kam nach einer KV-Lehre 1962 zur Swissair, absolvierte die Traffic Schule und arbeitete dann in Zürich und Basel. 1964 gelang es ihm, Steward und später Maître de Cabine zu werden. Als er 1968 wegen einer Amöbenkur am Boden im Sekretariat der Pilotenschule eingesetzt war, kam die zündete Idee, eine Karriere als Instruktor in der Ausbildung Kabinenpersonal einzuschlagen, dies, ohne auf das Fliegen verzichten zu müssen. Sein Sprachentalent prädestinierte ihn speziell fürs Voice Training. Seine unverwechselbare Stimme war über viele Jahre hinweg auf allen Flugzeugen zu hören, immer, wenn die französische No-Smoking-Ansage ab Band abgespielt wurde. Um seine Kompetenz in der englischen Sprache zu vervollkommnen, konnte er 1972 sieben Monate lang ein Praktikum am Londoner Flughafen absolvieren. Das war die Basis für seinen Drang zu angelsächsischen Gefilden! Höhepunkt seiner Ausbildertätigkeit waren die in Englisch geführten Grundkurse für japanische Flight Attendants und die vier Wochen als Gastlehrer an der Tokyo Business Academy für zukünftige Airhostessen.

 

Mit der Technik Schritt halten

 

Anfänglich hantierte Voice-Trainer Girod mit einem altertümlichen Tonaufnahmegerät und Mikrofon, später mit einer Videokamera. Für Unterrichtszwecke realisierte er mit seinen Instruktoren-Kollegen einfache Schwarz-Weiss-Filme. Die technische Entwicklung führte zu Professionalität und später zum unabhängigen Video-Team. Es war die Zeit der grenzenlosen Kreativität. Beachtliche Filme entstanden für die ganze Swissair und auch für Präsentationen an Bord. All diese Erfahrungen und Fertigkeiten kommen ihm nun auch in seiner neuen Heimat zugute.

 

Warum gerade Irland

 

 

Schon während seines Londoner Praktikums war Jean-Claude von Bootsferien fasziniert. Auch Therese begeisterte sich dafür. Zusammen entdeckten sie Nordirland mit seinen offenen, naturverbundenen Einwohnern, seinen eindrücklichen Küstenlandschaften und mildem Klima. 1990 kauften sie dort ein Boot und sechs Jahre später ein Haus in Donegalin, in der Republik Irland. Anfangs war es ihr Feriendomizil, doch es war klar, dass sie als Pensionierte dann dorthin auswandern würden. Zwei Jahre vor dem Swissair-Grounding war es dann soweit, sie begannen ein komplett neues Leben, und sie haben es nicht bereut!              2016.1