Ein ganzes Leben für die Technik ist sein Leben
Als technischer Delegierter der Swissair verbrachte Jo Haller zwei Jahre in den USA. In den Flugzeugproduktions-Hallen in Long Beach erlebte er hautnah die amerikanische Arbeitsmentalität.
Jo Haller wurde ans Telefon gerufen, als er mit anderen Swissair Kaderleuten am zweijährigen Curriculum für Management-Entwicklung «CME» teilnahm. Willy Schurter, der Chef von Swissair Technics, fragte ihn, ob er bereit wäre, nach Long Beach zu übersiedeln, um die anspruchsvolle Stelle als technischer Delegierter der Swissair für Nordamerika zu übernehmen. Er habe aber nur 24 Stunden Zeit, sich zu entscheiden. Nach Rücksprache mit seiner Frau nahm er dieses Angebot denn auch gerne an. Den Umzug zu organisieren, alle Verpflichtungen und Verträge in der Schweiz aufzulösen und in Amerika ein Haus für die ganze Familie zu mieten, verlangte sehr viel Flexibilität.
Probleme sind da, um gelöst zu werden
In seiner neuen Funktion war der Vollblut-Ingenieur der technische Ansprechpartner für McDonnell Douglas und Boeing. Hauptsächlich sollte er aber für die bestellten MD-11 verbindliche Ablieferungstermine einfordern und sich dafür einsetzen, dass keine weiteren Ablieferungsverzögerungen mehr entstehen. Jo Hallers Arbeitsstil war es, mit allen Beteiligten zu sprechen, vom CEO bis zum einfachen Arbeiter. Mit seinem kompetenten technischen Wissen, das er sich als Leiter verschiedener Arbeitsbereiche in SR Technics erworben hatte, kannte er auch alle Abläufe bei einer Gesamtüberholung eines Flugzeugs, so wusste er auch, wo Probleme auftauchen konnten und machte konstruktive, praktikable Lösungsvorschläge. Diese wurden von den Amerikanern denn auch akzeptiert, da er die Leute nicht belehren, sondern die Arbeiten rasch vorwärtsbringen wollte. Anders als in der Schweiz gibt es in den USA wenig gelernte Mechaniker, es sind primär angelernte Arbeiter, die nur einen kleinen Teilbereich erledigen. Wenn Jo Haller bei seinen regelmässigen Rundgängen aber auf Unregelmässigkeiten und Mängel stiess, die man vertuschen wollte, konnte er auch ungemütlich werden. Er teilte dann den Managern klar mit, dass er das nicht akzeptiere.
Kauf-Hoheit
Jo Haller und sein Long Beach-Team hatte die Bauaufsicht und die Abnahme der Flugzeuge zu verantworten, aber auch die Kompetenz, den Kauf eines Flugzeugs zu stoppen, wenn technisch nicht alles einwandfrei funktionierte. War alles in Ordnung, unterschrieb er die Verträge für die Flugzeugabnahme und veranlasste den millionenschweren Geldtransfer. Bei einer der Flugzeugabnahmen wurde anerkennend erwähnt, dass dank dem Einsatz von John, wie man ihn dort nannte, ein ganzes Jahr Produktionszeit eingespart werden konnte. Das war für den unermüdlichen Macher eine sehr grosse Genugtuung.
Amerika für Frau und Kinder
Die Familie Haller hatte sich in einem schönen Haus mit Swimmingpool gut eingelebt. Hier hatte vor allem Jos Frau für alles zu sorgen, was nicht immer einfach war. Die zwei Mädchen 6 und 10jährig besuchten öffentliche Schulen und lernten gut Englisch. Wenn immer möglich, machte die Familie lokale Ausflüge, zum Beispiel ins Disney Land. – 14 Tage nach der letzten MD-11-Ablieferung kehrte die Familie wieder in die Schweiz zurück.
Der gefragte Technik-Turbo wurde nach seinem USA-Einsatz Chef der Planung Triebwerk und gehörte ab 2000 als Leiter Component and Material Services der Geschäftsleitung SR Technics Switzerland an. Extrem waren die Herausforderungen nach dem Swissair Grounding. Plötzlich fehlte überall das Geld für die tägliche Produktion. Lieferanten mussten überzeugt werden, dass sich die SAirServices, nicht aber SR Technics in Liquidation befand. Der Nachlassverwalter liess das Management-Team die Firma mit den nötigen Restrukturierungen weiterführen. Der Bund beauftragte den Kanton Zürich einen Überbrückungskredit sicherzustellen, was für das Überleben der SR Technics Switzerland, deren Mitarbeitenden und den Weiterbetrieb von mehreren hundert Kunden-Flugzeugen weltweit relevant war. Gemeinsam mit dem Management-Team und Privat Equity Investoren beteiligte sich Jo Haller daran, die SR Technics Switzerland dem Nachlassverwalter abzukaufen. 2006 war dann nach 22 Jahren ein Tapetenwechsel angezeigt.
Einen Neuanfang machte Jo Haller bei der SBB-Infrastruktur, wo er ebenfalls als Geschäftsleitungsmitglied und als Leiter Produktion Bahntechnik in mehreren Projekten neue und höhere Standards setzte. Darüber weiss er unglaublich Spannendes zu erzählen.
Seit einem Jahr geniesst er das Leben als Pensionierter. Mit seiner Frau wohnt er heute am Zürichberg, liebt das Reisen, Tauchen, Modellfliegen und Reiten; jetzt hat er auch mehr Zeit für Familie und Freunde. Für technische Herausforderungen sorgt sein Engagement bei Eurotube für den Bau einer Hyperloop Strecke in der Schweiz.
2023