Bewegtes Leben
Die Swissair sandte ihn früher von Ort zu Ort. Heute zieht Jean-Pierre Allemann freiwillig mit seinem Frachtschiff umher.
Wer den gebürtigen Berner mit Walliser-Wurzeln mütterlicherseits zu erreichen versucht, weiss nie, von welchem Ort aus sich dieser dann meldet. Eigentlich hat er seinen Wohnsitz im Wallis, doch während fast sechs Monaten im Jahr befährt er zusammen mit seiner Frau Françoise die Binnengewässer Europas.
Vor Jahren besuchte Jean-Pierre Allemann ein Künstlerehepaar in Paris, das die Sommermonate auf ihrem 30 Meter langen Schiff verbrachte und auf der Seine, bei der Place de la Concorde festmachte. Diese mobile Stadtwohnung imponierte ihm so sehr, dass er sich wünschte, dereinst als Frühpensionierter ebenfalls auf einem Schiff zu leben. Er begann intensiv ein altes, umgebautes Frachtschiff zu suchen. Erst 2002 wurde er in Belgien fündig und konnte einen Delft’schen Clipper, die „Denzo“ mit Baujahr 1900, mit einer Länge von 25 Metern und fünf Meter Breite kaufen. Der Lastkahn fuhr zuerst unter Segeln bis zur Motorisierung im Jahr 1912 und war fast siebzig Jahre in Antwerpen in Betrieb. Im 2. Weltkrieg wurde das Schiff im Hafen versenkt und diente dort als künstliche Barriere, wurde aber nach 1945 wieder flott gemacht und 1968 zu einem Wohnschiff umgebaut. Das Schiff befand sich bei der Übernahme in bestem Zustand mit optimaler Einrichtung, die nur noch dem eigenen Geschmack angepasst werden musste. Allemann ersetzte die Spannteppiche durch einen Holzfussboden und täferte alle Wände. Zudem studierte er die Funktion der Motoren und Generatoren, um sie auch selber unterhalten oder reparieren zu können. So entwickelte er sich zu einem richtigen Hobbyhandwerker und konnte damit viel Geld sparen.
Immer in Bewegung
Jean- Pierre Allemann wurde nicht früh-, sondern zwangspensioniert. Der Untergang der Swissair setzte seiner Karriere ein jähes Ende. Da war das Vorhaben, in Zukunft teilweise auf einem Schiff zu leben, gerade richtig. Doch auf seine wechselvollen Swissair-Jahre blickt er gerne zurück. Als Verkaufs-, Landes- und Regionalchef hatte er das Glück, Moskau, Accra, Montreal, Paris, New York, Lissabon, Algier und Johannesburg hautnah zu erleben. Zwanzig Mal ist er mit Kind und Kegel von einer Stadt zur andern umgezogen, auch nach Genf, Bern und Zürich. Das absolut Beste war die Zeit der Beratungs- und Controllertätigkeit. Da besuchte er jährlich um die zwanzig Swissair-Vertretungen, durchleuchtete sie und kam mit allen Mitarbeitern ins Gespräch. Seine Empfehlungen mussten bedacht, situativ dem besuchten Land angepasst sein, was Empathie, Methodik und Verständnis für seine Gesprächspartner voraussetzte. „Diese intensiven Begegnungen machten mir ganz besonders Freude“, schwärmt der Kontaktbegabte noch heute. Emotional sehr berührend war für ihn die über mehrere Monate dauernde Betreuung der Opferfamilien der SR111-Katastrophe.
Die Freuden eines Schiffers
Seit acht Jahren bereist nun der Hobby-Kapitän, zusammen mit seiner Frau Françoise, die Flüsse und Seen Europas. Zuerst die von Frankreich, Belgien und Holland und dann die von Deutschland: die schönsten Wassergebiete des Kontinents. Das Land auf Wasserstrassen zu bereisen, schafft eine ganz andere Sicht, führt zu Ruhe und Gelassenheit. Das alte Schiff lässt sich fast überall mitten in einer Stadt oder einem Dorf festmachen. Von dort aus können die beiden bequem die Sehenswürdigkeiten des Orts besichtigen oder mit den mitgeführten Velos oder dem Motorrad die umliegenden Gebiete erforschen. Sie haben Zeit und kommen mit vielen Leuten, auch mit Berufsschiffern in Kontakt und ins Gespräch. „Wir haben etliche über 80jährige Freizeitschiffer kennengelernt, die immer noch auf dem Wasser unterwegs waren und wohl dadurch fit und wendig geblieben sind. Das ist auch unsere Zukunftshoffnung“, meint etwas versonnen der „Denzo-Kapitän“.
Fester Wohnsitz im Wallis
Allemann zog mit seiner Frau nach Nendaz, ins Dorf seiner Mutter, als er nach dem Grounding von Portugal zurückkehren musste. Nun geniessen sie dort während der Zeit, in der sie nicht auf dem Schiff leben, die einmalige Freiheit der Pensionierten. In Nendaz leitet er noch die lokale Tourismusorganisation und findet die Zusammenarbeit mit dem Verkehrsdirektor, den Behörden und der Presse recht interessant. Seine Swissair-Management- und Marketing-Erfahrungen sind da sehr gefragt.
„Ich gehöre zu einer verwöhnten Generation – anders als unsere drei Kinder und die fünf Grosskinder. Die Probleme unserer Zeit machen mir Sorgen“, sinniert Jean Pierre Allemann. „Ich hoffe, noch etwas bewirken zu können, damit unsere Nachfahren auch eine gute Zukunft haben werden.“
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