Der Profi in Sachen Care

 

Vor 20 Jahren, als SR111 bei Halifax abstürzte, gehörte zur Notfallorganisation bereits eine kleine Betreuungsequipe. Franz Bucher, der spätere Leiter des Swissair Careteams, erlebte damals mit seinen Helfern eine erste Feuertaufe.

 

 

Franz Bucher wechselte in den 90er Jahren von der Schulung Bodenpersonal ins Marketing und arbeitete zugleich in der Notfallorganisation mit, um eine Passagier-Hotline zu erstellen. Nach dem TWA-Absturz entstand auf Drängen der U.S.-Behörden auch in der Swissair ein Careteam mit engagierten Helferinnen und Helfern, die ausgebildet wurden in psychosozialer Nothilfe mit dem sinnvollen Ziel, Passagiere und Angehörige im Notfall nicht hängen zu lassen.  

 

Katastrophe Halifax

 

Mit vielen anderen Swissair-Spezialisten kam auch Franz Bucher in Genf zum Einsatz. Anfangs erlebte er alles ziemlich chaotisch, doch dann, dank effizienter Leitung und Organisation, ergab sich eine gute Zusammenarbeit. Es waren sehr lange Tage und sehr kurze Nächte für alle. „Ich staune heute noch, wie ich fast zwei Wochen unter Strom stehen und grossen Stress aushalten konnte“, meint Franz Bucher rückblickend.

Nach der Arbeit in Genf, erhielt Franz Bucher 1999 das Angebot, innerhalb der Post Emergency Organisation SR111 vollamtlich die Leitung des Swissair Careteams zu übernehmen. Er liess sich nicht zweimal bitten. Er und seine Gruppe standen dann über vier Jahre in Kontakt mit Betroffenen, organisierten den Rücktransport der Särge und Urnen mit den sterblichen Überresten sowie der Effekten der Toten. Sie ermöglichten Leichenidentifizierungen durch Angehörige und deren Teilnahme an Gedenkanlässen in Halifax und anderswo. Da konnte Bucher all seine früheren Erfahrungen im Passagierdienst, in der Frachtabteilung, die drei Jahre am Flughafen in New York, seine psychologischen Grundkenntnisse als TACT-Instruktor, Kommunikationsverantwortlicher und Logistiker einbringen.

 

Mitfühlen ja – mitleiden nein!

 

Im Umgang mit Hinterbliebenen mussten er und sein Team oft heftige, wutentbrannte Reaktionen über sich ergehen lassen, denn für viele war die Swissair die Mörderin ihrer Liebsten. Um solch extreme Gefühle und Erlebnisse zu verarbeiten, waren die gemeinsamen Gespräche in der Gruppe hilfreich – eine Bierrunde nach getaner Arbeit genügte da nicht! Die Mitglieder des Careteams lernten, sich nicht vom dramatischen Leid anderer unterkriegen zu lassen, sondern einfühlsam zuzuhören, oft ohne Worte einfach präsent zu sein oder auch nur eine Tasse Tee anzubieten. Denn: Helfer sind keine Therapeuten! Doch es gab durchaus auch sehr intensive und gute Gespräche mit Angehörigen, die sich später noch in E-Mails herzlich für den Einsatz und die Anteilnahme bedankten.

 

Neue Lebensaufgabe

 

Das Careteam der Swissair stand dann bei den zwei Crossair Unfällen und andern Notfällen wieder im Einsatz. Diese Erfahrungen und Kompetenzen wollte nun auch die SBB nutzen – es kam zu einer Zusammenarbeit. Um diese Arbeit nach dem Swissair Grounding weiterführen zu können, erhielt Franz Bucher nach seiner Kündigung umgehend einen befristeten SBB-Anstellungsvertrag. Dies erlaubte ihm und zwei ex-Swissairlern eine selbständige Stiftung CareLink aufzubauen. Die SBB und weitere Transportunternehmen, Banken, Versicherungen, Detailhändler und sogar Kinderzirkusse – mehr als 120 Schweizer Unternehmen und Institutionen – vertrauen seither auf die Notfallhilfe von CareLink! Derzeit arbeiten für diese Betreuungsorganisation knapp 10 Festangestellte und 300 Freiwillige, davon als Basis viele Notfallpsychologinnen und –psychologen. Im letzten Jahr ist Franz Bucher mit 65 Jahren in Pension gegangen, hat aber noch einzelne Mandate vom Bund für die Aus- und Weiterbildung von Care-Organisationen.

 

Entschleunigung

 

 

Nach so viel Hektik und Stress geniesst der gebürtige Luzerner die nun vermehrt zur Verfügung stehende freie Zeit mit Sport, Lesen, Musik und Natur. Mit seiner Frau Christina – sie ist auch Freiwillige bei CareLink – haben sie nebst Kloten noch einen weiteren Rückzugsort in ihrem Ferienhaus im Appenzell. „Es darf da auch mal etwas langweiliger sein, als in den letzten 20 Jahren!“ sagt er schmunzelnd.