Gastgeber für Menschen in Not

 

Swissair Flight Attendant wollte er werden. Als dies dann aber auf Anhieb nicht klappte, orientierte Christoph Zingg sich neu, studierte Theologie und ist heute Geschäftsführer des Sozialwerks Pfarrer Sieber.

 

 

 

 

Beim Wort SWISSAIR beginnen die Augen von Christoph Zingg zu leuchten. Kaum erstaunlich, denn er ist in Rümlang in einer Familie aufgewachsen, in welcher der Vater als Flugzeug- und Stationsmechaniker, die Mutter im Space Control und die Schwester als Air Hostess für die Swissair arbeiteten. Mit dem Ziel Flight Attendant zu werden, machte der junge Christoph zuerst eine KV Lehre und einen USA-Sprachaufenthalt. Mit seinem Talent, neugierig auf Menschen zuzugehen und diese als Gastgeber glücklich zu machen, glaubte er sich berufen für diesen Beruf in einer Flugzeugkabine. Gross war die Enttäuschung, als er bei der Eignungsabklärung nicht auf Anhieb angenommen wurde.

 

Neuorientierung

 

Mit einem amerikanischen Freund konnte Christoph Zingg während seines USA-Aufenthaltes immer wieder intensiv über Gott und die Welt diskutieren. Dass dieser Freund später Priester wurde, führte wohl dazu, dass auch er sich entschloss, Theologie zu studieren. In Bern schloss er dann tatsächlich Matura und Studium ab. Um finanziell über die Runden zu kommen, arbeitete er bei der Swissair als Aushilfe-Ramp-Arbeiter. Das Beladen und Entladen der Flugzeuge war ein harter Job, das ging nicht ohne Schweiss und Schmutz ab. Aber der Student machte diesen Job gern und wurde von den Arbeitern voll akzeptiert. Mit ihnen gab es immer wieder gute Gespräche. Dank dieser Erfahrung fühlt Zingg sich auch heute noch geerdet und redet mit einfachen Worten, dass er von unterschiedlichsten Leuten auch richtig verstanden wird.

 

Christliches Gedankengut

 

Schon als kleiner Bub liebte Christoph die Geschichten, die in der Sonntagsschule erzählt wurden. Seine Eltern waren nicht übertrieben fromm, aber gläubige Protestanten. Dass er nun Pfarrer wurde, war für alle recht positiv. Mit seiner ersten Frau, auch eine Theologin, übernahm er dann für zehn Jahre eine Pfarrstelle im Engadin. Es war eine schwierige Gemeinde, die arg zerstritten und schwer zusammenzuführen war. Mit vielen Projekten und Aktivitäten gelang es ihm dann doch, die Parteien zu vereinen. Er liebte es, Konfirmanden zu unterrichten und ihnen christliche Werte zu vermitteln.

In dieser Zeit wuchsen auch ihre drei Kinder heran.

 

Es folgten acht Jahre Einsatz in der Stadtmission Zürich. Zentrale Aufgabe ist für Pfarrer Zingg fortan die «Diakonie», das heisst für ihn, Mitmenschen, die sich in prekären Verhältnissen befinden, zu helfen, ihnen Schutz, Geborgenheit und Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Selbstständigkeit zu geben. Dank seiner Bodenhaftung hat er keinerlei Berührungsängste zu randständigen Menschen.

 

Als Zingg dann zum Sozialwerk Pfarrer Sieber Zürich wechselte, war sein Verständnis von «Diakonie» natürlich auch für alle Projekte des Sozialwerks passend. Er machte klar, dass er als Geschäftsleiter nie Pfarrer Sieber kopieren wollte oder konnte. Um sich für Menschen in Not einzusetzen, stehen ihm 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie viele Freiwillige zur Seite, die er führen, motivieren, ermutigen, aber auch kontrollieren muss. Er hat Spezialisten für Gassenarbeit, solche für Seelsorge oder medizinische Betreuung, Unterkünfte, Verpflegung und Administration. Ihm ist wichtig, dass alle Mitarbeitenden ihm vertrauen, dass sie spüren, dass er präsent ist, hinter ihnen steht und gemeinsam die Freuden und Sorgen teilt. Doch nicht alle sind geeignet für diese oft schwierige Arbeit mit Drogenabhängigen, verwahrlosten Obdachlosen und Kranken, Alkoholikern oder Prostituierten. Für den Gesamtleiter ist es schön, Angestellte für gute Leistungen zu loben, sie aber bei Fehlverhalten zu tadeln oder gar zu entlassen, das ist oft schwer.

 

Neuanfang

 

Nach elf Jahren hat sich der 59-Jährige nun wieder für einen Neuanfang entschieden. Er wird das Sozialwerk Pfarrer Sieber verlassen und in der bündnerischen Surselva in einem kleineren Rahmen eine ähnliche Organisation übernehmen.

 

Als Ausgleich zu seiner Arbeit liebt er es, zu kochen, Gäste zu haben und zu reisen. Er hat ein Hochsee-Segelpatent und segelt mit grosser Begeisterung auf den Weltmeeren umher. Erstaunlich ist, dass er seine Liebe zur Swissair bis heute bewahrt hat. Er hat ein kleines, privates Swissair-Museum eingerichtet mit zahlreichen Flugzeugmodellen, unterschiedlichen Objekten, sogar Uniformen u.v.a.m.

 

 

Christoph Zingg ist schlussendlich ein Gastgeber geworden, nicht an Bord eines Swissair- Flugzeugs für die Schönen und Reichen, sondern für die Schwächsten unserer Gesellschaft.

 

August 2021