Heile Welt hoch auf der Alp
Auf dem Urnerboden verkauft ein pensionierter Maître de Cabine Käsemutschli. Das beinhaltet Alphüttenromantik, viel Arbeit und oft auch Einsamkeit. Warum macht er das?
Wer würde sich nicht gerne von einem Profi-Koch verwöhnen lassen, der einst im Palace Hotel Gstaad für den Schah von Persien und für Liz Taylor kochte? Eine kann es: Ruth heisst die Glückliche, die Ehefrau Freddy Elseners. Auch zu Hause ist er der Chef de Cuisine, da ist er voll in seinem Element und lässt sich ungern in seiner Kreativität stören. Die meisten seiner Köstlichkeiten bereitet er heute in einem neuen Steamer-Ofen zu.
Die Palace-Geschichte ist schon alt. Sie folgte auf Elseners Kochausbildung in Grindelwald. Später befuhr er als Mannschaftskoch eines Frachtschiffes die Weltmeere. Wieder in der Schweiz wurde er Küchenchef im Militär, bevor er die Hotelfachschule in Luzern absolvierte. Die Arbeitstage im Gastgewerbe waren schon damals sehr hektisch, streng und lang, zudem schlecht bezahlt. Schlimm waren für den gebürtigen Freiburger die prekären Unterkünfte und der „Personalfrass“. Deshalb gab er seine Koch- und Hotelfach-Karriere rasch auf, um Steward bei der Swissair zu werden. Diesen Schritt bereute er nie. Im Laufe seiner neuen Laufbahn konnte er sich auch als Maître de Cabine und Instruktor des Kabinenpersonals verwirklichen. Viele First-Class-Galley-Flight-Attendants verdankten ihr Spezialwissen Freddy Elsener, der noch vor dem Grounding pensioniert wurde.
Was will der Unterländer auf der Alp?
Freddy Elsener ist kein Stubenhocker und kein Systematiker, eher ein chaotischer Macher. Wenn ihn jemand um Hilfe bittet, lässt er sich gerne für diese oder jene praktische Arbeit einspannen. So hilft er von März bis Juni einem Bauern am Hallwylersee beim Zurückschneiden von Sträuchern, beim Grasmähen, Mosten oder der Herstellung von Dörrfrüchten. Im Herbst ist er bei Weinausstellungen engagiert. Seine Frau Ruth ist als „Schlossdame“ für die Cafeteria im Schloss Lenzburg verantwortlich. Beide verbringen aber auch immer wieder Ferien im Tessin oder unternehmen Wanderungen, Reisen oder Töfffahrten.
Ein Inserat mit Folgen
Vor elf Jahren sah Freddy Elsener zufällig ein Zeitungsinserat – „Person gesucht für Käsliverkauf auf dem Urnerboden“ – und fühlte sich sofort angesprochen. Es reizte ihn, einmal ein paar Wochen lang das Leben in der Einfachheit einer Alphütte zu proben. Franz, ein bärtiger Älpler, wollte das zuerst nicht glauben und fragte sich, was wohl ein Aargauer, der für die Swissair mit feinen Leuten in der Welt herumgeflogen sei, auf der Alp oben suche. Die beiden wurden sich dann aber doch einig. Während der sieben Wochen, die Franz auf der Oberen Alp auf 1700 Metern mit seiner Kuhherde und mit Käseherstellen verbringt, sollte Freddy auf dem Urnerboden die kleinen ein Kilo schweren Käsmutschli pflegen und an die vorbeikommenden Touristen verkaufen.
Idylle mit harten Realitäten
Es war sehr wohl idyllisch und beschaulich, abends auf dem Bänkli vor der Alphütte zu hocken und auf die sonnenbeschienen Berggipfel zu blicken. Doch tagsüber hiess es hart arbeiten, denn die fast 900 Käschen waren jeden zweiten Tag zu waschen. Das hielt Freddy Elsener allerdings nicht davon ab, sich immer wieder mit Kunden auf einen Schwatz einzulassen. Gelang es ihm bei schönem Wetter, wenn viele Unterländer über den beliebten Klausenpass fuhren, bis zu hundert kleine Urnerboden Alpkäsli zu verkaufen, machte ihn das glücklich und auch recht stolz. Anders in einer Schlechtwetterperiode. Da kam es vor, dass er wochenlang kaum jemanden zu Gesicht bekam. Da fühlte er sich abends recht einsam, hatte aber viel Zeit fürs Philosophieren.
Keine Ferien am Meeresstrand
Erstaunlicherweise fiel es ihm leicht, sich vom Komfort seiner schönen Wohnung in Villmergen auf die einfache Alphütte umzustellen. Vergnüglich war es immer, wenn Franz und seine Gehilfin alle zwei Wochen von der Oberen Alp herunterkamen, um neuen Käse abzuliefern. Freddy Elsener ist beeindruckt von diesem Älpler. Dieser war noch nie in Zürich oder im Ausland und machte noch nie Ferien. Er ist zufrieden mit seinem genügsamen Leben auf dem Berg mit seiner Arbeit und seinem Vieh. Geld ist ihm unwichtig – er hat alles, was er braucht. Konkurrenzkampf gibt es keinen. „Auch die andern Einheimischen, die Käse auf dem Urnerboden verkaufen, sollen zu leben haben“, sagte Franz. Welch eine Gelassenheit und innere Zufriedenheit! Es erstaunt darum nicht, dass Freddy Elsener immer wieder ein paar Wochen auf dem Urnerboden für den Älpler Franz Käsli wäscht und an Touristen verkauft.
Swissair News 1 / 2013