Leben ohne Internet und WhatsApp
Aufmerksam verfolgt Verena Encrantz das aktuelle Geschehen in Gesellschaft, Politik und Kultur und sucht dann oft in ihren Büchern, was früher zu ähnlichen Themen geschrieben wurde. Das Engagement für ihren 100-jährigen Mann hindert sie nicht, auch heute dezidiert ihre Meinung in der Gemeinde zu vertreten.
Wer heute die elegante und attraktive Verena Encrantz-Fankhauser sieht, glaubt nicht, dass sie schon 87 Jahre alt ist, glaubt aber gerne, dass sie einst eine Airhostess war. Das war lange her! 1954 machte sie auf DC-3 ihren Erstflug und erlebte dann in den folgenden neun Jahren die aufregende und wundervolle Zeit des Aufbruchs in die moderne Fliegerei der Swissair. Auf einem gemeinsamen Flug lernte sie ihren späteren Ehemann, den schwedischen Piloten Carl Gustaf Encrantz kennen und lieben. Es kam zur Hochzeit und als Konsequenz damals, zum Ende ihrer fliegerischen Karriere.
Viele Jahre später
Heute, 55 Jahre darnach sind sie immer noch ein Paar. Ihr Ehemann ist in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden. Er ist körperlich erstaunlich fit und erinnert sich noch an viele Details von früher. Seit einem Jahr funktioniert jedoch sein Kurzzeitgedächtnis nicht mehr so gut, es fehlt oft der Bezug zum Hier und Jetzt. Das Zusammenleben wurde beschwerlich und zerrte an Verena Encrantzes Kräften. Nach einem eigenen monatelangen Spitalaufenthalt war klar, dass ihr Mann nicht mehr allein zuhause gelassen werden konnte. Seither lebt er in einem Heim, wo er gut betreut und regelmässig von ihr besucht wird. Oft verbringen sie tagsüber gemeinsame Stunden zuhause in ihrem Haus in Russikon. Natürlich ist es sehr traurig, wenn sie ihn dann wieder zurück bringt. Sie fragt sich dann immer, was sie besser machen könnte? Ein paar Tage zusammen mit Tochter oder Enkelin helfen ihr, solch quälende Fragen etwas loszuwerden.
Eine politische Frau
Verena Encrantz interessierte sich anfangs der 70er Jahren nach der Einführung des Frauenstimmrechts für Redeschulung für Frauen und gab selber solche Kurse. Klare Standpunkte musste sie als Konsumentenschützerin vertreten, als sie im Zürcher Oberland das Forum für Konsumentinnenschutz mit 300 Mitgliedern gründete und auch leitete. – Auch heute vertritt sie dezidiert ihre Meinung. Letzthin erhielt sie eine offizielle Umfrage mit welcher alle Einwohner über ihre digitalen Gewohnheiten befragt wurden. Sie war empört und beschwerte sich, dass darin all die Leute ignoriert wurden, die ihr Leben auch ohne Internet, WhatsApp und Facebook meistern. – In der Gemeinde hatte sie auch den Antrag gestellt, in den Quartierstrassen Tempo 30 einzuführen. Wegen Finanzknappheit wurde der Antrag zuerst schubladisiert, doch jetzt, wo das Geld vorhanden ist, soll ihr Antrag erneut behandelt werden.
Reicher Erinnerungsschatz
Die in Wangen an der Aare aufgewachsene, muntere Bernerin sitzt gerne auf dem Sofa in der gemütlichen Stube ihres alten schwedischen Holzhauses mit den unzähligen Büchern. Viele dieser Bücher liest sie auch heute wieder. Verena Encrantz denkt gerne zurück an die vielen Höhepunkte ihres reicherfüllten Lebens, nicht nur an die Swissairzeit, sondern auch an die Sprachaufenthalte in England und Spanien oder an die Zeit, als sie mit 48 Jahren noch die Matur nachholte und dann Anglistik und Germanistik studierte und als Journalistin arbeitete oder sehr viel später Senioren Englischunterricht gab. Wie schön und erlebnisreich waren doch auch die Wanderungen über fast alle Schweizer Pässe mit ihrem Mann und natürlich die Aufenthalte in Schweden. Das Erfüllendste war für sie aber die Zeit mit der Familie, wie sie als Mutter und Grossmutter miterlebte, wie ihre Kinder und Enkelin sich täglich weiterentwickelten. All diese Erinnerungen sind ein Schatz, der ihr bleibt und immer wieder Freude macht.